Samstag, 30. Januar 2010

Eine Cosima im Dreivierteltakt
Frau Johann Strauß, geb. Adele Deutsch



Den Ruhm ihres Gatten trug sie wie einen Königsmantel, den sie nach seinem Tod nicht ablegte: Anreden ließ sie sich als Frau Johann Strauß. Adele war die dritte Ehefrau von Johann Strauß und überlebte ihren Mann um 30 Jahre. Für die 1856 in Wien geborene Adele Deutsch war es die zweite Ehe: 1874 heiratete sie den Bankierssohn Anton Strauß, der 1877 verstarb.

Eine glückliche Ehe

Der Wiener Walzerkönig war zur Zeit ihres Kennenlernens in der Wiener Gesellschaft bereits zwei Mal verheiratet gewesen. Seine erste Frau Henriette Chalupetzky starb 1878, die zweite Ehe mit Angelika Dittrich war ein Fiasko. Johann Strauß ließ sich scheiden, was eine weitere Eheschließung nach katholischem Recht in Österreich unmöglich machte. Die Ehe mit Adele musste deshalb planvoll legalisiert werden: Strauß gab die österreichische Staatsbürgerschaft auf und wurde Staatsbürger des Herzogtums Sachsen-Goburg-Gotha. Der Komponist konvertierte zudem zum protestantischen Glauben und konnte 1887 in der Herzoglichen Hofkirche zu Coburg seine Adele endlich heiraten. Die 31-jährige Adele Strauß, von deren großen dunklen Augen der 62-jährige Walzerkönig bei der Hochzeit schwärmte, galt als liebevolle Ehefrau, trug aber auch Charakterzüge des Herrischen und Dominanten in sich. In einem Nachruf war zu lesen: „Wenn sie lächelte und wenn ihr Lächeln zufällig nicht mokant war, hatte sie einen unwiderstehlichen Liebreiz.“

Die geschäftstüchtige Witwe

Adele Strauß organisierte den Haushalt, korrespondierte mit Theaterdirektoren und Verlegern und stand dem Komponisten in seinem letzten Lebensjahr aufopferungsvoll zur Seite. Die glückliche Ehe dauerte nur zwölf Jahre, da Johann Strauß 1899 verschied. Strauß setzte in seinem Testament die Wiener Gesellschaft der Musikfreunde zu seinem Haupterben ein. Seine Witwe erhielt neben der Strauß-Villa zusätzlich „alles, was in diesem Hause nicht erd-, mauer-, niet- und nagelfest ist.“ Zudem bekam Adele nach dem Tod ihres Mannes alle anfallenden Tantiemen und Autorenrechte zugesprochen, allerdings unter der Bedingung, dass sich sie nicht wieder verheiraten würde. Die hohen Tantiemen, die Adele Strauß von den Theatern für die überall gespielten Aufführungen der Strauß-Hits Die Fledermaus, Der Zigeunerbaron und Eine Nacht in Venedig einstrich, reichten ihr nicht. Um noch mehr Geld zu verdienen, erfand Adele Strauß das Genre der „Künstlichen Operette“, deren Konzept „Aus alt mach neu“ sich in Wiener Blut bewährt hatte, ein mit Gesangstexten unterlegtes Konglomerat aus Walzern und Polkas aus dem reichen Schaffen von Johann Strauß. Das Konzept wurde in der Folge von dritter Seite auch auf Musik von Jacques Offenbach (Der Goldschmied von Toledo, 1919), Franz von Suppé (Dichter und Bauer, 1915) und Leo Fall (Rosen aus Florida, 1929) angewendet.

Neue Texte zu alter Musik

Das erste Ergebnis von Adeles Bemühungen, den kompositorischen Nachlass ihres Gatten auszuschlachten, um dadurch weitere Tantiemen zu erzielen, war die 1902 in Wien uraufgeführte Operette Gräfin Pepi. Dafür wurden Kompositionen aus den selten gespielten Strauß-Operetten Blindekuh und Simplicius von Ernst Reiterer musikalisch bearbeitet, von Victor León mit neuen Texten versehen und in ein Libretto eingearbeitet. 1906 folgte Tausend und eine Nacht auf Basis der ersten Operette von Strauß Indigo und die vierzig Räuber. Ergänzt durch Walzer und Polkas von Johann Strauß erlebte seine Originaloperette Die Göttin der Vernunft unter dem Titel Reiche Mädchen im Jahr 1909 ihre fröhliche Wiederauferstehung; Der Karneval in Rom kam 1912 mit neuen Texten versehen und einer vom Original abweichenden Handlung als Der blaue Held erneut auf die Bühne. Adele Strauß, die bei den Wiener Premieren in einer Ehrenloge thronend die Huldigungen des Publikums entgegennahm, strich erfreut die Tantiemen ein, worüber sich der Satiriker Karl Kraus in seiner Zeitschrift „Die Fackel“ mokierte: „Es wird unermüdlich galvanisiert, unermüdlich in der Schublade des Toten herumgesucht, unermüdlich Nachgelassenes zu Novitäten gekleistert. Die alten Titel seiner Werke werden aus der Musikgeschichte gestrichen und aus der Erinnerung an eine bessere Theaterzeit gerissen, seine Kompositionen von Kreti und Pleti zusammengeschweißt und auf den Tantiemenglanz hergerichtet. Sieht so die Auferstehung des Genius aus? Ach, es war nur eine Täuschung. Man versicherte uns, Johann Strauß sei zum Leben erweckt worden. Und er hatte sich doch bloß im Grabe umgedreht!“

Die „Lex Johann Strauß“

Die Kritik von Karl Kraus focht Adele Strauß nicht an und sie ging einen Schritt weiter. Um die Tantiemen für die Zeit nach ihrem Ableben ihrer Tochter Alice aus erster Ehe zu sichern – die Ehe mit Johann Strauß war kinderlos geblieben –, betrieb Adele Strauß mit großer Energie und unter Einschaltung von Rechtsanwälten die Verlängerung der Schutzfrist des Urheberrechts, die zu ihrer Zeit 30 Jahre betrug. Die Witwe forderte 50 Jahre, erreichte aber mit der „Lex Johann Strauß“ nur die Verlängerung der Schutzfrist auf 32 Jahre. In ihrem Kampf um die Verlängerung von Autorenrechten fand Adele Strauß im fränkischen Bayreuth eine Verbündete. Auch Cosima Wagner, Witwe Richard Wagners und Herrin auf dem Grünen Hügel, focht den Kampf um eine Verlängerung der Schutzrechte. Cosima wollte ermöglichen, dass das in Bayreuth 1882 uraufgeführte Bühnenweihfestspiel Parsifal nach 1913, dem Ablauf der allgemein geltenden Schutzfrist, weiterhin exklusiv den Bayreuther Festspielen zu Aufführungszwecken vorbehalten blieb, was ihr nicht gelang.

Cosima im Walzerrausch

Adele Strauß war Frau Cosima nach Wagners Tod im Jahr 1888 begegnet, als sie mit ihrem Mann Johann bei den Bayreuther Festspielen eine Aufführung von Parsifal besuchte. Beim Blumenmädchen-Walzer „Komm, holder Knabe“ soll Johann Strauß seiner Frau im Zuschauerraum zugeraunt haben: „Das hat er von mir!“ Dass Richard Wagner die Musik vom Walzerkönig gekannt und geschätzt hat, belegen zwei Tagebucheintragungen von Cosima Wagner. Am Silvesterabend 1873 notierte sie: „Abends tanzen die Kinder um den Baum, Richard spielt dazu Walzer aus den Meistersingern und von Strauß.“ Am 22. Mai 1875, an Wagners 62. Geburtstag, ist zu lesen: „Die Kinder sehr ernst und feierlich, sprechen ihre Verse hübsch. Abends Illumination von Wahnfried, Feuerwerk, dazu Strauß‘sche Walzer, Kinderfackelzug; alles glückt schön, Richard heiter und gerührt.“

Im Ruhmesmausoleum

Adele Strauß und Cosima Wagner starben im selben Jahr: Cosima Wagner mit 92 Jahren am 1. April 1930, Adele wenige Wochen zuvor im Alter von 74 Jahren am 9. März 1930. „Man hat Adele Strauß oft genug scherzhaft eine Cosima im Dreivierteltakt genannt“, war in einem Nachruf am 10. März 1930 in der Tageszeitung Neue Freie Presse zu lesen. „Sie war tatsächlich eine Cosima, wie auch Johann Strauß gleich Wagner ein Genie war. Nun hat die unermüdlich am Werke Dienende Ruhe gefunden, und Wagners Wort zu seiner Gattin Cosima: ‚Du gehörst mit ins Ruhmesmausoleum’, gilt auch für die Gattin von Johann Strauß.“