Freitag, 1. Februar 2013


Eduard Künneke GLÜCKLICHE REISE




Ein Kritiker bescheinigte dem Komponisten Eduard Künneke nach der Uraufführung seiner Operette Der Tenor der Herzogin: „Das jüngste Werk steht den schablonisierten Gegenwartserzeugnissen fern; packender Rhythmus, leuchtende Melodik und brillante Instrumentierung heben es über das Gewohnte heraus.“ Gleiches lässt sich über seine anderen Operetten sagen: Der Vetter aus Dingsda, Liselott und Glückliche Reise.

Karriere mit Startschwierigkeiten

Der am 27. Januar 1885 in Emmerich am Niederrhein geborene Eduard Künneke studierte an der Berliner Musikhochschule Dirigieren und Komposition bei Max Bruch. 1907 erhielt er im Alter von 22 Jahren ein erstes Engagement als Chorleiter am Berliner Neuen Operettentheater, 1911 wechselte er als Kapellmeister an das Deutsche Theater. Während dieser Zeit wurden Künnekes Opern Robins Ende in Mannheim und Coeur-As in Dresden uraufgeführt, ohne dass er damit nennenswerte Erfolge erzielte. 1916 nahm er ein Engagement am Berliner Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater an und teilte sich mit zwei anderen Dirigenten die musikalische Leitung der mehr als 1000 Aufführungen der Operette Das Dreimäderlhaus, die Heinrich Berté nach Melodien von Franz Schubert zusammenstellte. Künneke lernte während der Aufführungsserie die Sängerin Katarina Garden kennen, die seine Ehefrau wurde. Ihre gemeinsame Tochter war die spätere Filmschauspielerin und Schlagersängerin Evelyn Künneke.

Prägnante Rhythmen im Sound der Zeit

Nach der Premiere seines Singspiels Das Dorf ohne Glocke verpflichtete der Theaterproduzent Hermann Haller den aufstrebenden Komponisten an das Theater am Nollendorfplatz. Haller schlug ihm vor, eine „richtige Operette“ zu schreiben. Künneke willigte ein, obwohl er weiterhin seine künstlerische Zukunft als Komponist von Opern sah. Doch auf einen Versuch wollte er es ankommen lassen. 1919 wurde in Berlin seine erste Operette Der Vielgeliebte uraufgeführt, zu der Hermann Haller und Fritz Oliven die Verse lieferten. Künneke berichtete rückblickend über den Premierenabend: „Schon nach dem zweiten Akt wurden die Autoren auf die Bühne gerufen. Es war ein unerhörter Erfolg, von dem ganz Berlin sprach; ich war von diesem Augenblick an der Operette verfallen.“ Den Durchbruch zu einer der führenden Operettenkomponisten seiner Zeit schaffte Künneke 1921 mit Der Vetter aus Dingsda. Diesen übergroßen Erfolg konnte er mit seinen nachfolgenden Bühnenwerken Die Ehe im Kreise und Verliebte Leute nicht erreichen. Erst die Umarbeitung seiner Operette Die blonde Liselott zu Liselott, die 1932 am Berliner Admiralspalast mit Gustav Gründgens und Käthe Dorsch in den Hauptrollen gespielt wurde, brachte neuen Schwung in seine Karriere. Die Qualität seiner Bühnenwerke zeichnete sich durch Instrumentrationskunst und Klangphantasie aus, die auch bei noch so geringem Gewicht der Texte hervortrat. Künnekes Stärke war die kammermusikalische Durchleuchtung des Tonsatzes, basierend auf einer profunden Kenntnis des Handwerks. Mit prägnanten Rhythmen traf er den Ton der Zeit und gab seinen Operetten durch aktuelle Tanzrhythmen eine ganz eigene Note.

Drüben in der Heimat, da blüht ein Rosengarten

Auch die Uraufführung von Glückliche Reise am 23. November 1932 war ein durchschlagender Erfolg. Es ging um Heimweh und Liebe, um zwei bodenständige Männer, die postlagernd Briefe auf Heiratsannoncen verschicken, um den Frauen ihrer Träume zu begegnen. Robert von Hartenau und Stefan Schwarzenberg, zwei ehemalige deutsche Offiziere, haben sich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg nach Südamerika abgesetzt und langweilen sich in der Fremde auf ihrer Farm, die außerdem wenig abwirft. Kontakt mit der Heimat haben sie nur durch eine Briefpartnerschaft mit zwei jungen Frauen aus Berlin. Als ihr Freund Kapitän Peter Brangersen überraschend im Urwald aufkreuzt, schlägt er Robert und Stefan vor, die beiden jungen Damen persönlich kennen zu lernen. Da sie kein Geld für die Schiffsreise haben, arbeiten sie während der Überfahrt nach Europa als Stewards. In Berlin angekommen stellt sich heraus, dass die Brieffreundin Monika Brink nicht die reiche Dame von Welt ist, die angeblich permanent zwischen New York und Monte Carlo pendelt. Monika arbeitet als Angestellte in einem Reisebüro. Sie hat nicht nur Stefan viele Briefe geschrieben, sondern auch an Robert, allerdings unter dem Namen ihrer Freundin Lona Vonderhoff, die davon keine Ahnung hat. Nach einigen Turbulenzen finden die richtigen Paare zueinander. Gemeinsam brechen sie zu einer weiteren „Glücklichen Reise” auf – diesmal ist das Ziel der Hafen der Ehe.

Schreib’ mir ’ne Karte, wenn du angekommen bist.

Künnekes Operette trug zunächst den Arbeitstitel „Liebe ohne Grenzen“. Avisiert war die Uraufführung am Berliner Lessing-Theater, das zum Konzern der Gebrüder Rotter gehörte. Nach dem Zusammenbruch ihres Theaterimperiums vergab Künneke die Aufführungsrechte an das Berliner Kurfürstendamm-Theater, an dem sich der Regisseur und Schauspieler Leo Peukert als Direktor betätigte. Peukert, der die Uraufführung auch inszenierte, kam auf die Idee, der Operette einen neuen Titel nach einem schwungvollen Marschfox aus der Partitur zu geben: „Glückliche Reise“. Die Handlung um zwei Freunde, die in Berlin die Frauen ihres Lebens finden, ist etwas zähflüssig erzählt, die Verwicklungen sind mehr gezwungen als logisch, aber die Musik entschädigt für alle dramaturgischen Ungereimtheiten. Künneke komponierte eine Großstadtoperette mit den pulsierenden Rhythmen seiner Zeit: Rumba, Tango, Foxtrott und Blues. Hinzu kam etwas Albernheit („Am Amazonas, da wohnen unsere Ahnen“) und ein wenig Pseudophilosophie („Das Leben ist ein Karussell“), auf das muntere Tanzduett („Jede Frau geht so gerne mal zum Tanztee, aber jede Frau ist auch gern die Eleganste“) folgt ein sentimentaler Schlager („Nacht muss es sein, wenn man sein Herz verschenkt, Nacht muss es sein, wenn man ans Küssen denkt“).

Fein und apart

Die in Berlin erscheinende Börsenzeitung schrieb nach der Uraufführung von Glückliche Reise über die „prickelnde, perlende und pikante“ Musik: „Sie ist nicht nur durchweg unterhaltend, sondern lässt auch den geschmackvollen Komponisten von hohem Niveau erkennen, der keinerlei Konzessionen an dankbare Abgedroschenheit macht. Künneke hat eigene Ideen und Einfälle, er instrumentiert künstlerisch fein und apart. Auch etliche stramme Schlager sind zu verzeichnen, von denen das begeisterte Publikum Wiederholungen erzwang.“ In der Rolle der Lona Vonderhoff trat die junge Lizzi Waldmüller in der Uraufführung auf. Den Durchbruch zum Leinwandstar verdankte sie Willi Forst. Er gab ihr 1939 in dem Spielfilm Bel Ami die Rolle der Pariser Tänzerin Rachel. In einer Revueszene sang Lizzi Waldmüller einen Schlager von Theo Mackeben, der zum Evergreen wurde: „Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Ami“. Auch für die damals noch unbekannte Schauspielerin Lilli Palmer, die 1933 in Aufführungen der Glücklichen Reise in Darmstadt mitspielte, war Künnekes Operette der Startschuss in eine große Karriere.

Die erfundene Tante

Glückliche Reise wurde zweimal verfilmt. 1933 durch Alfred Abel mit Magda Schneider, Carla Carlsen, Max Hansen und Paul Henckels in den Hauptrollen. Als Tante Henriette, eine Rolle, die für den Film hinzuerfunden wurde, griff Adele Sandrock klärend in das Liebeskarussell ein. In einer weiteren Verfilmung von 1954 mit Ina Peters, Inge Egger, Paul Hubschmid und Peer Schmid wollte es der Regisseur Thomas Engel in den Fünfzigerjahren vermeiden, zwei ehemalige deutsche Offiziere auf die Leinwand zu bringen. Robert und Stefan sind nun Biologiestudenten, die ihr Studium eigenartigerweise in der Südsee absolvieren.

Zauberin Lola

Auf Glückliche Reise folgte im Dezember 1933 die Uraufführung der romantischen Operette Die lockende Flamme am Berliner Theater des Westens. Danach erlitt Künnekes Karriere eine schmerzhafte Zäsur. Der Komponist geriet mit den Nationalsozialisten in Konflikt, weil er sich von seiner halbjüdischen Ehefrau Katarina nicht trennen wollte. Die Situation verschärfte sich noch, als Joseph Goebbels die „entartet-negroider“ Jazzelemente seiner Operetten rügte. Die Uraufführung von Künnekes nächster Operette Herz über Bord war deshalb nur im benachbarten Ausland möglich. Sie wurde erstmals in Zürich 1935 gespielt; die deutsche Erstaufführung fand auch nicht in der Theatermetropole Berlin, sondern in Düsseldorf statt. Da nach der Vertreibung der jüdischen Komponisten aus Deutschland die Produktion von neuen Operetten insgesamt zurückgegangen war, und das Reich auf einen so populären Künstler wie Eduard Künneke nicht verzichten wollte, endete der Boykott seiner Werke durch eine Anweisung der Reichstheaterkammer, dass dem Komponisten trotz der ‚nichtarischen‘ Gattin keine Schwierigkeiten mehr zu machen seien. Seine Operetten durften wieder aufgeführt werden. In rascher Folge fanden die Uraufführungen von Zauberin Lola, Hochzeit in Samarkand und Traumland statt.

Finale in Düsseldorf

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zog sich der nunmehr sechzigjährige Komponist in sein Privatleben zurück. Er beschäftigte sich mit Mathematik, Geschichte, Religionswissenschaft und Mythologie. Als sich 1949 in Düsseldorf der Vorhang zur Uraufführung seiner letzten, nur mäßig erfolgreichen Operette Hochzeit mit Erika öffnete, war die Premiere trotz einiger gefälliger Melodien nur ein ferner Nachklang seiner großen Erfolge der Zwanziger- und Dreißigerjahre. In der Weltbühne war zu lesen: „Das Blumenmädchen Erika und der Gärtnerbursche Ferdinand sind Liebesleute und haben (wie sollte es anders sein?) kein Geld, um zu heiraten. Den Rahmen zu dieser Szenerie bestreiten ein Straßenhändler und eine Gemüsefrau, dialektsprechend und seelengut. Ferner wirken mit der edle Graf Kunibert und die reiche Spanierin Emilie, die schließlich auch noch heiraten. Zum Schluss wird ‚Ob arm, ob reich, verliebt sind alle gleich’ gesungen, und dann ist die Hochzeit mit Erika zu Ende.“ Eduard Künneke starb am 27. Oktober 1953 in Berlin. Bis heute werden Der Vetter aus Dingsda und Glückliche Reise von den Theatern aufgeführt, seine Operetten Herz über Bord und Traumland, die in ihrer gelungenen Mischung aus kecken Jazzsynkopen und gefühlvollen Weisen seinen Meisterwerken nicht nachstehen, gilt es hingegen neu zu entdecken.